Warum Alleinsein von zentraler Bedeutung für Wohlbefinden und Stressbewältigung sein kann und was man sich hier von den Italienern abschauen sollte.
Vielleicht ist es die Kitschserie, von der man anderen nur ungern erzählt, oder das nächste Kapitel eines Krimis, das gelesen werden will. Die überfällige Pediküre samt Gurkenmaske, vielleicht auch das Projekt, das schon ewig in der Garage wartet. Oder einfach gar nichts vorhaben und spontan entscheiden.
Zeit, die man sich ganz alleine gönnt
Achtsamkeit, Selbstfürsorge oder Me-Time nennt sich diese Zeit, die man sich ganz alleine gönnt. „In Summe kann der Alltag ganz schön anstrengend sein“, sagt Doris Wolf, Gesundheitspsychologin in Graz. Gründe dafür ortet sie in einer ständigen Reizüberflutung, einem schneller werdenden Lebenstempo sowie der Verpflichtung, stets erreichbar zu sein.
Sich zumindest zeitweise abzugrenzen, kann so von zentraler Bedeutung für Wohlbefinden und Stressbewältigung sein. Deswegen könne es, so Wolf, nicht schaden, sich von Zeit zu Zeit an den Italienern ein Beispiel zu nehmen. „,Dolce far niente‘, süßes Nichtstun, das gleichzusetzen ist mit ,nichts an sich herankommen lassen‘.“
Wie viel Zeit verbringen Sie mit Nichtstun?
Trotzdem ein schlechtes Gewissen? Das können Sie sich sparen und mit harten Fakten argumentieren. Forscher der Florida Gulf Coast University haben herausgefunden, dass intelligentere Menschen mehr Zeit mit Nichtstun verbringen als aktive. Sie nehmen sich die Freiheit, Tagträumen nachzuhängen oder die Gedanken schweifen zu lassen – und schaffen es so, Energiereserven nachhaltiger einzuteilen. Psychologen der Universität Dresden nahmen die Work-Life-Balance von Studenten unter die Lupe und zeigten, dass jene, die genug Zeit für sich hatten, um über sich selbst nachzudenken, am wenigsten unter seelischen sowie körperlichen Beschwerden litten. Schlussfolgerung der Forscher: Es brauche ein neues, dreidimensionales Life-Balance-Modell, das auf Arbeits-, Selbst- und Freizeit basiere.
Allein sein zu können, stellt einen wichtigen Entwicklungsschritt in der Bewältigung von Lebensaufgaben dar. Im Idealfall lernen wir es bis zum Jugendalter.
Doris Wolf, Gesundheitspsychologin
Me-Time ist eine Form der Selbstwürdigung
Auch Psychiater Michael Lehofer betrachtet es keineswegs als egoistisch, über seine eigene Zeit zu verfügen. Er empfiehlt nur, diese Bedürfnisse auch konkret anzusprechen. „Jeder Mensch nimmt sich Zeit für sich selbst. Manche drücken es nur nicht so aus und sagen etwa: Ich muss arbeiten oder ich habe einen Termin. Sie erfinden Ausreden. Ich glaube, dass es günstig ist, wenn man sich seine Bedürfnisbefriedigung nicht ,erstiehlt‘, so wie viele Menschen es machen. Wenn man sich also Zeit für sich selbst nimmt, ist das eine Frage der Selbstwürdigung, das auch offen zu kommunizieren.“
Alleinsein bedeutet nicht einsam sein
Der Begriff des Alleinseins wird aber immer wieder mit der negativ besetzten Einsamkeit verwechselt. „Alleine ist man, wenn niemand anders im Raum ist, das wird von vielen mit der Möglichkeit, ,zur Ruhe‘ und ,zu sich zu kommen‘, assoziiert“, führt Doris Wolf aus. „Einsamkeit kann man hingegen nicht nur empfinden, wenn man alleine ist, sondern auch, wenn man von vielen umgeben ist. Es wird als Gefühl des Nicht-dazu-Gehörens beschrieben.“
Quelle: Kleine Zeitung/Carmen Oster